Welche Hinweise auf Lernstörungen gibt es im Vorschulalter?

Bedauerlicherweise werden Lernstörungen erst verhältnismäßig spät diagnostiziert – „meist nicht vor Ende der zweiten Klasse“ 1(Hasselhorn, 2021, S. 8). Grundsätzlich beginnt jedoch der Erwerb schriftsprachlicher oder mathematischer Fähigkeiten nicht erst im Grundschulalter 2(Küspert, 2017; Küspert, 2018). In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass die sogenannten Vorläuferfertigkeiten im Vorschulalter den Erwerb von Schriftsprache (Lesen, Rechtschreiben) und Mathematik beeinflussen. Sind diese Vorläuferfertigkeiten gut ausgebildet, fördern sie den erfolgreichen Erwerb des Lesens, Schreibens und Rechnens 3(BVL, 2018; Hasselhorn, 2021).

Für den Erwerb des Rechnens können z.B. die Fertigkeit des Zählens (freies Zählen, Abzählen), der Vergleich von Zahlen (kleiner/ größer) und Mengen (weniger/ mehr) sowie die Zuordnung von Zahlen zu Mengen als Vorläufermerkmale gelten 4(BVL, 2020; Küspert, 2017).

Beispielübung zum Mengenvergleich:

Auf welchem Bild siehst du mehr Punkte?

Für den Schriftspracherwerb – im deutschsprachigen Raum v.a. für die Rechtschreibleistung 5(Hasselhorn & Büttner, 2017; Moll et al., 2012) – ist die phonologische Bewusstheit eine bedeutsame Vorläuferfertigkeit. Die phonologische Bewusstheit ist die Fähigkeit zur Einsicht in die Lautstruktur der gesprochenen Sprache 6(Küspert, 2018). Im engeren Sinne ermöglicht diese Fähigkeit, „einzelne Phoneme/ Laute innerhalb von Wörtern zu identifizieren“ – im weiteren Sinne dagegen, „Klangähnlichkeiten in Wörtern und damit Reime zu erkennen“ 7(Schneider, 2012, S. 220; vgl. Skrowonek & Marx, 1989).

Beispielübungen zur phonologischen Bewusstheit:

Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne:

Zerlege das Wort SALAMI in seine Einzellaute:  /S/, /A/, /L/, /A/, /M/, /I/

Nenne den Anfangslaut: /S/

Nenne den Endlaut: /I/

Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne:

Zerlege das Wort in seine Silben: SALAMI: SA – LA – MI

Finde Reimwörter zu RAUM: BAUM, SAUM, TRAUM

Inzwischen gibt es wissenschaftlich fundierte Verfahren, die es erlauben, diese Vorläuferfertigkeiten bereits im Vorschulalter zu erfassen und damit zur Früherkennung von Kindern mit einem Risiko für Lernstörungen beizutragen. Auf dieser Grundlage kann, im Sinne der Prävention, eine Frühförderung dieser Kinder stattfinden. Durch wissenschaftlich fundierte Förderprogramme ist es möglich, den Erwerb des Lesens, Schreibens und Rechnens zu begünstigen und der Entwicklung einer Lernstörung entgegenzuwirken 8(Hasselhorn, 2021; Küspert, 2017). Jedoch besteht auch in Deutschland weiterhin dringender Bedarf, die bisherigen Präventionsbemühungen zu intensivieren und auszubauen, denn noch immer sind zu viele Kinder und Jugendliche von Lernstörungen betroffen 9(Hasselhorn, 2021)!

Literaturnachweis:

Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie (2018). Legasthenie – Ratgeber zum Thema Legasthenie – Erkennen und Verstehen. Bonn: BVL. https://www.bvl-legasthenie.de/images/static/pdfs/bvl/1_BVL_Ratgeber-Legasthenie_2018.pdf

Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie (BVL) (2020). Begrifflichkeiten und Abgrenzung zur Lese-Rechtschreibschwäche. BVL-Legasthenie. https://www.bvl-legasthenie.de/legasthenie.html

Hasselhorn, M. (2021). Lernstörungen: Ein unvermeidbares Schicksal? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 36, 1-17. DOI: 10.1024/1010-0652/a000324

Hasselhorn, M. & Büttner, G. (2017). Lernstörungen. In U. Hartmann, M. Hasselhorn & A. Gold (Hrsg.), Entwicklungsverläufe verstehen – Kinder mit Bildungsrisiken wirksam fördern (S. 65-79). Stuttgart: Kohlhammer.

Küspert, P. (2017). Wie Kinder besser Rechnen lernen. Neue Strategien gegen Dyskalkulie. München: Oberstebrink.

Küspert, P. (2018). Neue Strategien gegen Legasthenie. Lese- und Rechtschreibschwäche: Erkennen, vorbeugen, behandeln. München: Oberstebrink.

Moll, K., Wallner, R., & Landerl, K. (2012). Kognitive Korrelate der Lese-, Leserechtschreib- und der Rechtschreibstörung. Lernen und Lernstörungen, 1(1), 7–19. https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000002

Schneider, W. (2012). Die Relevanz früher phonologischer Bewusstheit für den späteren Schriftspracherwerb. Frühe Bildung, 1(4), 220–222. https://doi.org/10.1026/2191-9186/a000065

Skowronek, H. & Marx, H. (1989). The Sielefeld longitu-dinal study on early identification of risks in learning to write and read: Theoretical background and first results. In Brambring, M., Lösel, F. & Skowronek, H. (Hrsg.). Children at risk: Assessment, longitudinal research, and intervention (S. 268-294). New York: de Gruyter.

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